Bei pinkbike.com wurde ein Interview mit Dr. Chris Leatt über die Neck Brace, gebrochene Schlüsselbeine, Sicherheit auf dem Rad und vieles mehr geführt. Wir haben das Interview für Euch übersetzt.


PB: Was ist der Hintergrund? Wie sind Sie zur Erfindung der Neck Brace gekommen?

CL: Ich bin Arzt und habe erst in verschiedenen Bereichen gearbeitet, mich dann aber letztendlich für einen chirurgischen Fachbereich entschieden. Während meiner Spezialisierung habe ich die Neck Brace erfunden. Bei einem Enduro-Motorcycle-Rennen in der Nähe von Kapstadt, Südafrika, stürzte ein Fahrer, den ich kannte, und brach sich den Hals. Ich war dort mit meinem damals 4jährigen Sohn Matthew, als mich ein Sanitäter bat, ihm mit dem gestürzten Fahrer zu helfen. Alan Selby war mit relativ geringer Geschwindigkeit über den Lenker geflogen. Ich versuchte ihn wiederzubeleben, was aber trotz der richtigen Ausrüstung nicht erfolgreich war. Matthew war gerade sein erstes kleines Motorrad gefahren und mit diesem Gedanken im Hinterkopf. fing ich an, an der Neck Brace zu arbeiten – um alles in meiner Macht Stehende zu tun, um Matthew bei seinen zukünftigen Fahrten sicher zu wissen.

PB: Wie funktioniert die Neck Brace? Wie habt ihr sie getestet?

CL: Sie funktioniert als „Alternative Load Path Technology“ (ALPT) – oder mit anderen Worten: ein Teil der Kraft, die bei einem Sturz auf den Kopf auf den Nacken übertragen wird, wird sicher auf andere Körperstrukturen verteilt. Durch die Verringerung des Ausmaßes der auf den Nacken wirkenden Kraft wird die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung verringert. Angenommen, man fliegt über den Lenker und landet auf dem Kopf: normalerweise wird die Kraft vom Boden auf den Helm und dann auf den Nacken übertragen – und das wird alles durch das Körpergewicht verursacht, das den Nacken und Kopf zusammendrückt und bewegt. Mit einer Neck Brace wird die Kraft auf die gleiche Art und Weise vom Boden auf den Helm übertragen, der Helm berührt nun aber die Neck Brace und leitet so einen Teil der Kraft darauf ab, wodurch die Kraftübertragung auf den Nacken und damit das Verletzungsrissiko verringert wird. Getestet haben wir auf verschiedene Weisen, auch mit physischen Tests an Dummies in verschiedenen Szenarien, mit Labortests von Komponenten der Neck Brace, mit komplexen Computermodellierungen und auch mit der Veröffentlichung der EMS Actionsport Studie, in der 10 Jahre Crash-Daten aus der Praxis verfügbar sind. Die Studie und weitere Tests können auf unserer Website gefunden werden.

PB: Viele Fahrer behaupten, dass sie sich bei einem Sturz mit einer Neck Brace eher das Schlüsselbein brechen oder eine Kopfverletzung davontragen. Ist das wahr?

CL: Das ist das wahrscheinlich größte Missverständnis in Bezug auf die Neck Brace . Es ist WENIGER wahrscheinlich, sich mit der Leatt-Brace das Schlüsselbein zu brechen als ohne. Man kann sich das Schlüsselbein auf eine von drei Arten brechen: 1) durch einen Sturz auf den ausgestreckten Arm, bei dem die Kraft über den Arm auf die Schulter übertragen wird, wobei das Schlüsselbein das „schwache Glied“ darstellt und bricht, um schlimmere Verletzungen zu vermeiden, 2) ein Sturz direkt auf die Schulter oder 3) der Helmrand trifft auf das Schlüsselbein.

Wir wissen, dass Schlüsselbeine die häufigsten Frakturen beim Fahrern mit oder ohne Neck Brace sind. Wenn man die Möglichkeiten 2) und 3) betrachtet, würde man bei einem Sturz auf die linke Seite auch einen linksseitigen Schlüsselbeinbruch erwarten. Wäre die Neck Brace die Ursache für Schlüsselbeinbrüche, würde man den Bruch auf der gegenüberliegenden Seite erwarten, da sich der Kopf und Hals nach rechts bewegen. Die Neck Brace ist aber so konzipiert, dass der Rand des Helms mit einem Entlastungsbereich für das Schlüsselbein versehen ist, wodurch der Helmrand auf die Oberseite der Neck Brace und nicht auf das Schlüsselbein trifft, die Kraft abgebaut wird und es nicht zu einem rechtsseitigen Schlüsselbeinbruch kommt.

Demonstriert haben wir das durch Dummy-Tests mit einem instrumentierten Schlüsselbein, das in unserem Test-Dummy enthalten ist und die Kräfte des Schlüsselbeins in allen von uns getesteten Aufprallszenarien misst. Zusätzlich gab es eine Verringerung der in der oben erwähnten EMS-Studie aufgeführten Schlüsselbeinverletzungen als Folge der Ursache 3).

PB: Haben Sie Mountainbike-spezifische Studien durchgeführt, um zu zeigen, dass die Neck Brace nicht zu einer Zunahme von Schlüsselbeinbrüchen führt? Die Geschwindigkeiten und Aufprallkräfte sind bei einem Mountainbike ja anders als bei einem Motorrad. Würde das die Statistik beeinflussen?

CL: Nein, denn das ist nicht geschwindkeitsbezogen, sondern eher ein Verletzungsmechanismus. Ein Schlüsselbein wird immer noch durch einen direkten Sturz auf die Schulter oder einen ausgestreckten Arm gebrochen, aber die Fähigkeit der Neck Brace, das Schlüsselbein vor dem Schlag der Helmkante zu schützen, ist dabei unabhängig von der Geschwindigkeit, der Art des Helms oder anderen Unfalldynamiken.

PB: Verkauft ihr heute so viele Mountainbike-Neck Braces wie vor acht Jahren?

CL: Ja. Wir sehen weiterhin ein großes Wachstum der weltweiten Nachfrage an MTB-Neck Braces, da wir innovative Produkte herausbringen, die eine große Bandbreite an Fahrern ansprechen.

PB: In Whistler waren die Neck Braces früher überall, jetzt trägt sie kaum noch jemand. Kommt die wachsende Nachfrage nach Neck Braces aus dem MTB-Bereich? Und wenn ja, bewegt es sich vom nordamerikanischen Markt weg?

CL: Wir sehen steigende Verkaufszahlen der Neck Brace bei Mountainbikern in den gesamten USA und im Ausland sowie in verschiedenen MTB-Segmenten. Whilster ist natürlich ein spezielles Segment.

PB: Enduro hat ziemlich an Popularität gewonnen und die Tracks sind im Wesendlichen Mini-DH-Tracks. EWS-Fahrer tragen keine Neck Brace – plant ihr, diesen Markt anzusprechen? Könnt ihr das?

CL: Ich glaube, wir haben diesen Bereich bereits angesprochen. Für den Enduromarkt haben wir den Fokus auf Helme gelegt. 2017 haben wir den DBX 3.0 Enduro-Helm rausgebracht, ein Helm mit abnehmbarem Kinnbügel und Leatts 360°-Turbinentechnologie. Der DBX 4.0 Helm wurde im Dezember 2018 auf den Markt gebracht. Er it ein vollständig nach ASTM DH zertifizierter Helm mit maximaler Belüftung, 360°-Turbinentechnologie und sehr leichtem Gewicht (850g). Stark genug für DH, aber trotzdem leicht und belüftet genug für Enduro.

PB: Die meisten Fahrer tragen heutzutage ungern einen Trinkrucksack, geschweigedenn eine Leatt-Neck Brace – hat die Mode ihren Tribut an Protektoren gefordert?

CL: Wir sind immer bemüht, die Sicherheit vor der Mode zu fördern, aber gleichzeitig entwickeln wir unsere Protektoren und Kleidung so, dass der Fahrer keine Kompromisse eingehen muss. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Neck Brace ein wesentlicher Bestandteil der Ausrüstung eines jeden Fahrers sein sollte, wenn er mit einem Fullface-Helm fährt. Leatt Neck Braces sind schlank, leicht und ästhetisch sehr gut geschnitten, sodass sie gut aussehen und das Risiko von schweren Verletzungen radikal verringern. Mit den Top-Modellen von unter 700 Gramm möchten wir auch, dass mehr Enduro-Fahrer sie tragen. Der Sport schreitet voran und wir sind davon überzeugt, dass die Neck Brace die Leistung weder auf Anstiegen noch bei Abfahrten beeinträchtigt.

Es ist unsere Unternehmensmission, die Verbraucher über die Vorteile der Neck Brace aufzuklären und einige der Vorurteile aufzuräumen. Wir arbeiten mit Profisportlern und Botschaftern zusammen, um in erster Linie das Vertrauen in das Produkt zu stärken. Mit zunehmender Beliebtheit wird die Neck Brace zu einem coolen, trendigen Produkt. Da der Sport immer größer und schneller wird, sind wir zuversichtlich, dass Neck Braces immer beliebter werden, da die Fahrer nach diesem zusätzlichen Schutz fragen werden – da es ihnen Vertrauen gibt, Fortschritte zu machen.

PB: Strider-Racing, Mini-Motocross-Events,.. im Wettkampfsport für Kinder ist viel los. Was kann getan werden, um die Kinder besser zu schützen?

CL: Das wichtigste Anliegen für Eltern ist es, ihr Kind zu schützen. Daher ist Protektion eine naheliegende Lösung. In einer Zeit, in der uns die Informationen zur Verfügung stehen, sollten sich Eltern übber angemessenen Schutz informieren. Wir nehmen den Schutz von jungen Fahrern sehr ernst und investieren weiterhin in die Entwicklung von Produkten für Kinder – was eine ziemliche Herausforderung ist, weil das Gewicht und die Atmungsaktivität des Produkts durch einen Aufprallschutz erheblich beeinträchtigt werden. Bei einem kleinen Kind kann das schnell zu Erschöpfung führen, was als eine der häufigsten Unfallursachen vermieten werden sollte.

In 2014 haben wir unsere Fusion 2.0 Neck Vest vorgestellt: ein Produkt, das Nacken-, Brust-, Rücken- und Schulter-Schutz für Kinder mit einem akzeptablen Gewicht kombiniert. Diese sind bei Eltern sehr beliebt und können für Junioren ab einer Körpergröße von 100cm verwendet werden. Wir bieten auch viele andere Produkte wie Ellbogen- und Knieschutz für Kinder dieser Größe an.

PB: Erwarten Sie einen Konsens in Bezug auf Helm- und Sicherheitsprüfnormen? Was fehlt in der Gleichung?

CL: Ich glaube, es gibt in der Branche heute mehr Diskussionen über verschiedene Sicherheitsstandards für unseren Sport als vor einem Jahrzehnt. Die Verbesserung der Helmnormen (es ist eine neu vorgeschlagene FIM-Norm in der Entwicklung), die Entwicklung weiterer EU-Normen für die Sicherheit von Bekleidung und die Diskussion um die Norm für Tests von Nackenschutz sind alles positive Zeichen für uns.

PB: Erwarten Sie einen Durchbruch bei Materialien, die die Industrie von Protektoren revolutionieren könnte? Wenn Sie eines erfinden könnten, wie wären seine Eigenschaften?

CL: Da das Feld der Biomechanik sehr umfangreich und komplex ist, werden wahrscheinlich zahlreiche, schrittweise Änderungen an Material und Design das Angebot verbessern. Wir bei Leatt sind immer bemüht, die bestmöglichen Materialien für unsere verschiedenen Verwendungszwecke zu finden und zu entwickeln. Darüber hinaus entwickeln und testen wir ständig neue Ideen. Könnte ich ein Material erfinden, würden dessen Eigenschaften radikale Innovationen ermöglichen, die einen besseren Schutz und Benutzerfreundlichkeit anbieten – beispielsweise etwas mit einer Scherverdickung, das sich versteift, je stärker der Aufprall ist.